Kommentar: Die Ampel ist aus.
Was in der Digitalpolitik bleibt und was kommen muss
Die Ampel ist nicht an der Digitalpolitik zerbrochen und auch kommende Regierungskonstellationen werden nicht an ihr scheitern. Was wie ein Silberstreif am Horizont klingt, ist im Grunde eine schlechte Nachricht. Es ist nämlich nicht so, dass sich SPD, Grüne und FDP zum roten Faden in der Digitalpolitik immer einig gewesen wären. Vielmehr war der Faden weder dick genug, noch stramm genug gespannt, um als Koalition darüber stolpern zu können.
Die Euphorie war 2021 groß. Die Fortschrittskoalition schrieb den Wortstamm „digital“ satte 226-mal in den Koalitionsvertrag, was viele Beobachter und Beobachterinnen als positives Zeichen werteten. Zum Vergleich: „Wirtschaft“ schaffte es nur auf 172 Erwähnungen. Es versprühte den Anflug von Konsequenz, wenn man bedenkt, dass der positive Zusammenhang zwischen dem Grad der Digitalisierung einer Volkswirtschaft und ihrem Potenzialwachstum inzwischen messbar ist. Die Folge waren 334 zum Teil sehr ambitionierte, digitalpolitische Vorhaben. Dann kam der brutale Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine und kurz darauf kratzte das Bundesverfassungsgericht den Kitt aus den Fugen der Koalition. Unter hohem politischem Druck rangen die Koalitionäre öffentlich entweder um die Neuordnung oder (je nach Blickwinkel) um den Erhalt der politischen Prioritäten. Die Erkenntnis bleibt: Digitalpolitik gehört weder zu dem einen noch dem anderen.
Zur Ehrenrettung der Ampel muss man mindestens drei Punkte festhalten:
- Der Schock, den der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nach sich zog, war immens: So immens, dass er mit wenigen Herausforderungen vergleichbar ist. Inflation, Handelsketten, Embargos oder die Neuorganisation der deutschen Energieversorgung mussten gemeinsam mit der ausklingenden Corona-Politik gemanagt werden. Dies ist weitestgehend gelungen, wenn auch zu einem hohen Preis und auf Kosten anderer politischer Projekte, wie der Digitalisierung.
- In Brüssel hat die deutsche Digitalpolitik keine schlechte Figur gemacht. Beispiel: AI Act. Das Ergebnis ist ein politischer Kompromiss, der aus der Sicht der Wirtschaft zu viel Potenzial liegen lässt. Aber die deutsche Position (gesteuert aus dem BMDV) war enorm stark, einflussreich und geschickt gesteuert.
- Laut Bitkom Monitoring sind 98 digitalpolitische Vorhaben bereits umgesetzt, die meisten davon vom BMWK. Das sind mehr als am Ende der letzten Amtszeit von Kanzlerin Merkel zu Buche standen. Das Ziel wurde trotzdem verfehlt, denn geplant waren 334. 200 befinden sich noch in der Umsetzung, wenn auch in unterschiedlichen Stadien, sodass absehbar ist, dass es viele davon nicht über die Ziellinie schaffen werden, genauso wie jene Vorhaben, die auf der Strecke geblieben sind. Darunter wichtige Projekte zur Modernisierung öffentlicher Strukturen und zur Forschungsförderung, die es ohne den frühen Bruch wohl noch durch den Bundestag geschafft hätten.
Nach dem Lob mit Abstrichen folgt der Tadel und der fällt grob aus. Aus Sicht der mittelständischen Wirtschaft betreffen die wichtigsten Digitalprojekte die Erneuerung der Infrastruktur und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Vom Ausbau von 5G und Breitbandinternet einmal abgesehen, ist das Ergebnis der Ampel hier ernüchternd. Auch hier ein paar Beispiele:
- Die Venture-Capital-Standorte Deutschland und Europa sind noch immer nicht konkurrenzfähig. Technologie-Start Ups können kaum über die Seed-Phase hinauswachsen, weil Ihnen das nötige Kapital fehlt. Trotz entsprechender Vorhaben ist eine echte Trendwende nicht in Sicht. Diese wäre aber dringend nötig, denn als technologisch Abhängige drohen wir in dem wachsenden Konflikt zwischen der Technologie-Champions China und den USA zerrieben zu werden.
- Die Modernisierung des Staates kommt zu langsam voran. Der Grund liegt in der noch immer nicht digitalisierte Kern-Infrastruktur unserer Verwaltungen und der schmerzhaften Verantwortungsdiffusionen in der Politik. Der bereits lange beschlossenen Modernisierung der mehr als 150 Register in Deutschland wurde das Budget gestrichen, der zentralen technologischen Grundlage (NOOTS) fehlt die gesetzliche Grundlage und das OZG 2.0 ist nur noch ein Schatten seiner Idee. Länder, Bund und Kommunen zeigen munter mit dem Finger aufeinander und haben - darin liegt die Ironie – auch irgendwie Recht damit. Bleibt das so, werden Unternehmen weiterhin Berge von Formularen und Berichten auf Papier produzieren und diese immer und immer wieder an staatliche Institutionen übermitteln, weil Verwaltungen und Behörden nicht automatisiert miteinander kommunizieren können. Diese Verschwendung von Ressourcen muss ein Ende haben. Es braucht einen mutigen Schritt und dieser lautet: Digital Only & Once Only für alle Verwaltungskontakte.
- Die Schäden durch Cyberangriffe erreichen jährlich inzwischen dreistellige Milliardenwerte. Die NIS-2-Umsetzung soll hier gegensteuern, nimmt – nach der Intervention der Bundesländer – die öffentliche Infrastruktur aber weitgehend aus. Damit zählen Verwaltungen, Teile der Energie- und Wasserversorgung, Abfallentsorgung oder große Teile des Gesundheitssektors für den Gesetzgeber augenscheinlich nicht zur kritischen Infrastruktur. Diese Entscheidung ist nicht vermittelbar. Die Länder argumentieren mit Kosten und Verfassungsbedenken. Gerüchteweise ist der Grund aber, dass man eine Überforderung öffentlicher Institutionen befürchtet. Angesichts der massiven Cyberangriffe auf öffentliche Infrastrukturen ist dies eine völlige Fehlentwicklung. Erkenntnis und Selbsterkenntnis liegen hier weit auseinander.
- Nach der neusten ICILS Studie aus dem November 2024 enden die digitalen Kompetenzen von 40 Prozent der 8.-Klässlerinnen und 8.-Klässler beim “Klicken und Wischen” (Tendenz: steigend). Die Europäische Kommission stellt wiederum fest, dass mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht einmal über Basiskompetenzen in der Digitalisierung verfügt. Dies als ernstes Problem zu bezeichnen, wäre ein höfliches Understatement. Die Koalition hatte sich vorgenommen, hier einen Anstoß zu geben (!).
Es gibt in Deutschland nicht genug politisches Kapital für die Digitalisierung. Dies hat sich mit der Ampelkoalition nicht geändert. Hierbei mangeltes nicht unbedingt an der Kompetenz handelnder Personen, sondern an fehlenden politischen Verknüpfungen. Wer Wirtschafts- und Handelspolitik nicht mit Digitalpolitik verknüpft, hat nicht verstanden, wie sich Wertschöpfung in den vergangenen 20 Jahren verändert hat. Wer Sicherheitspolitik nicht mit digitaler, öffentlicher Daseinsvorsorge und Verwaltungen verknüpft, hat nicht verstanden, welche Bedeutung die Modernisierung unserer Infrastruktur hat. Wer Bildungsinvestitionen mit der Anschaffung von Tablets verwechselt und ein Digitalministerium einrichtet, das weder Richtungs- noch Durchgriffskompetenzen besitzt, hat im Grunde Digitalisierung nicht verstanden.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich SPD und Grüne noch mit der Opposition auf irgendein digitalpolitisches Projekt verständigen werden. Der Wahlkampf lässt dies wohl nicht zu. Mittelfristig ist es ein gutes Zeichen, dass wir zumindest in Europa endlich ernsthaft über die Vereinbarung von Digitalisierung und wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit sprechen. Und vielleicht ist die inzwischen xte Inszenierung des Klassikers „Bürokratieabbau“ endlich die, der in der kommenden Legislaturperiode der verdiente Durchbruch gelingt. Denn das geht nur durch Effizienzgewinne und die wiederum sind realistisch nur durch die Modernisierung der Verwaltungsinfrastruktur zu erreichen. Man darf träumen.
Das Wichtigste in der Diskussion um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unseres Landes ist, dass folgende Erkenntnis hängen bleibt: Volkswirtschaften mit hohem Digitalisierungsgrad wachsen schneller, sind resilienter gegenüber konjunkturellen Schwankungen und verzeichnen signifikante Produktivitätsgewinne durch die Digitalisierung und Automatisierung öffentlicher Prozesse. Nehmen wir die Digitalisierung wegen ihrer inhärenten Bedeutung politisch endlich ernst - so ernst wie Wirtschaftspolitik oder Innenpolitik – muss sie Chefsache werden. Die kommende Bundesregierung hätte dazu die Chance. Verpassen wir auch diese, könnte es sein, dass wir unserer Wettbewerbsfähigkeit nur noch traurig hinterherwinken können.
Michael Nitsche
Abteilungsleiter Digitalpolitik
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