17.11.2022

BMWK: Wirtschaft steht vor Winterrezession

Die anhaltend hohen Energiepreise, die steigende Inflation und die damit verbundenen Kaufkraftverluste belasten zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Das dritte Quartal besser verlaufen als erwartet und die deutsche Wirtschaft gewachsen. Für den weiteren Verlauf erwartet die Bundesregierung jedoch eine rückläufige Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr 2022/23. Dies ist die zusammenfassende Einschätzung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWK) zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland im November 2022.

Das BIP-Wachstum dürfte im Jahresdurchschnitt 2023 leicht negativ sein. Der Industrie ist es gelungen, ihren Gasverbrauch seit Jahresbeginn substantiell zu reduzieren. Ein Großteil dieser Einsparungen ist aufsteigende Effizienz sowie Substitution durch alternative Energiequellen zurückzuführen. Produktionseinbußen zeigen sich vor allem in den energieintensiven Industriezweigen. Die Industrieproduktion konnte am Ende des dritten Quartals jedoch noch einmal zulegen. Der Ausblick für die kommenden Monate ist aber angesichts einer spürbar rückläufigen Nachfrage und einer deutlich unterkühlten Stimmung in den Unternehmen eingetrübt. Die Inflation ist im Oktober auf 10,4 Prozent weiter gestiegen.

Die Wirtschaft ist nach der Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts vom 28. Oktober 2022 im dritten Quartal entgegen den Erwartungen real um +0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Die weiteren Aussichten sind dennoch nicht positiv. Die Industrieproduktion insgesamt ist zwar aktuell stabil, sie wuchs im Berichtsmonat September um 0,7 Prozent, deutliche Rückgänge waren aber bereits seit Jahresanfang in den energieintensiven Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes zu verzeichnen. Diese liegen rund zehn Prozent unter dem Niveau vom Jahresanfang. Zudem waren die Auftragseingänge mit -4,0 Prozent auch im September stark rückläufig und sprechen für eine weiter abkühlende Nachfrage.

Auch der Ausblick für den Außenhandel bleibt pessimistisch: Sowohl die nominalen Einfuhren als auch die nominalen Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen lagen im September saisonbereinigt mit -2,6 Prozent bzw. -0,3 Prozent gegenüber dem Vormonat im Minus. Der Rückgang der nominalen Werte liegt vor allem an den stark rückläufigen Preisen der Im- und Exporte. Real dürfte der Rückgang deswegen deutlich schwächer gewesen sein. Infolge des starken Preisrückgangs von importierten Energieträgern, insbesondere Gas, haben sich auch die Terms of Trade verbessert. Der Handelsbilanzüberschuss erholte sich im September deutlich und lag bei +2,6 Milliarden Euro gegenüber August mit -1,3 Milliarden Euro.

Insgesamt bleibt der Ausblick für den Außenhandel pessimistisch, auch wenn er sich leicht verbessert hat. Die ifo-Exporterwartungen haben sich mit -5,3 Saldenpunkten im Oktober leicht erhöht, liegen aber weiterhin auf einem Niveau, das mit dem Frühjahr 2020 vergleichbar ist. Erfreulich ist, dass sich im September die Erholung von den Lieferengpässen nach dem Rücksetzer fortsetzt. Laut ifo-Umfrage berichten im Oktober 64 Prozent der Unternehmen von Engpässen in der Beschaffung. Die Auflösung von Staus vor wichtigen Häfen sowie sinkende Containerfrachtraten dürften die Situation verbessert haben, so die Einschätzung des BMWK weiter.

Für die Industriekonjunktur bleibt der Ausblick auf die kommenden Monate eingetrübt. Und dies auch wenn die Produktion am Ende des dritten Quartals noch einmal zulegte und es im Quartalsvergleich zu einem beachtlichen Plus um 0,5 Prozent gekommen ist. Die Nachfrage ist merklich rückläufig und die Stimmung in den Unternehmen deutlich unterkühlt. Die Teuerung der Energieträger fiel erneut sehr kräftig aus (+43,0 Prozent; September: + 43,9 Prozent). Der Anstieg der Preise für Nahrungsmittel verzeichnete mit +20,3 Prozent ein neues Allzeithoch seit der Wiedervereinigung (September: +18,7 Prozent). Insbesondere hier wirkten sich Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen preiserhöhend aus. Im September stiegen die Erzeugerpreise binnen Jahresfrist mit +45,8 Prozent so stark wie im Vormonat, als bereits ein trauriger Rekord seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949 aufgestellt wurde. Die Importpreise verteuerten sich im September um +29,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, gingen aber gegenüber dem Vormonat leicht zurück (-0,9 Prozent). Der Anstieg der Großhandelsverkaufspreise fiel im September ebenfalls erneut stärker aus (gegenüber September 2021: +19,9 Prozent; gegenüber August 2022: +1,6 Prozent). Preisdämpfend dürfte sich die Mehrwertsteuersenkung für Erdgaslieferungen und Fernwärme von 19 Prozent auf 7 Prozent aus dem dritten Entlastungspaket auf die Inflationsrate ausgewirkt haben. Dennoch stiegen die Preise hier deutlich gegenüber dem Vorjahresmonat (Gas: +109,8 Prozent; Fernwärme: +35,6 Prozent). Auch für die nächsten Monate werden hohe Inflationsraten erwartet. Die Bundesregierung geht in ihrer Herbstprojektion von Mitte Oktober für den Jahresdurchschnitt 2022 von einem Anstieg um 8,0 Prozent aus. 2023 wird dank der Gas- und Strompreisbremsen mit einer Dämpfung gerechnet (+7,0 Prozent).
Der BGA teilt die grundsätzliche Einschätzung, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in einem schwierigen Fahrwasser befindet. Die multiplen Herausforderungen sind nicht nur mit erhöhten Preisen und Kosten verbunden. Sie belasten auch die für die Versorgung von Wirtschaft und Verbrauchern wichtigen Lieferketten. Auch wenn sich die Anspannung löst, worauf auch die rückläufigen Preise bei Rohstoffen hindeuten, bleibt die Wirtschaft in Deutschland mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Sie muss sich in einem sich verändernden, an Schärfe zunehmende globalen Wettbewerb um Technologien, Produkten und Kunden mit hohen Belastungen bei Steuern, Abgaben und Regulierungen behaupten können. Wirtschaftspolitisch hält der BGA daher, Weichenstellungen für unausweichlich, die die Unternehmen in dieser schwierigen Phase stärken. Weitere Belastungen wären daher die falschen Signale. Benötigt ist zumindest ein Belastungsmoratorium und der Abbau von Bürokratie sowie insbesondere die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen und eines bezahlbaren, verlässlichen nachhaltigen Energiemixes. 

Ansprechpartner:

Michael Alber
Geschäftsführer Volkswirtschaft + Finanzen
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