02.11.2023

Die Achillesferse im Außenhandel

Der Außenhandel hat Deutschland stark und wohlhabend gemacht. Doch der Import von Energie und metallischen Rohstoffen ist auch die Achillesferse der deutschen Volkswirtschaft. Deutschland braucht dringend eine neue Strategie, um den Zugriff auf die beiden Input-Faktoren zu sichern.

Deutschland lebt von seinem Export – und hängt doch auch stark vom Import ab: Eine stabile Energie- und Rohstoffversorgung zu erträglichen Preisen ist eine zentrale Voraussetzung für unsere Wertschöpfung. Und hier sind wir verwundbar, wie uns die aktuellen geopolitischen Verwerfungen vor Augen geführt haben. Die Volatilität und das grundsätzlich hohe Niveau der Energiepreise bedeuten einen Wettbewerbsnachteil, der in Kombination mit der Abhängigkeit von einigen wenigen Rohstofflieferanten die Transformation der deutschen Wirtschaft behindert. Wenn die Industrie den Weg der nachhaltigen und digitalen Transformation nicht rechtzeitig beschreiten kann, könnte eine Deindustrialisierung die Folge sein.

Problem erkannt – aber wie kann eine Lösung aussehen? Deutschland braucht eine neue Energie- und Rohstoffstrategie. Die Logik des aktuellen Systems globaler Lieferketten beruht hauptsächlich auf Kostenüberlegungen: Der Lieferant mit dem günstigsten Preis bei definierter Qualität bekommt den Zuschlag. Dies führte im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zu einer Konzentration von Länderrisiken. Künftig müssen die Aspekte Sicherheit und Verfügbarkeit stärker berücksichtigt werden.

Alternativen finden und entwickeln

Ansätze gibt es auf EU-Ebene bereits: Die Europäische Kommission plant eine Lieferobergrenze für den Bezug strategischer Rohstoffe von 65 Prozent des Jahresverbrauchs der EU aus einem einzigen Drittland. Außerdem sollen mindestens 15 Prozent des jährlichen Verbrauchs aus Recycling gedeckt werden. Zwei weitere Wege reduzieren die Abhängigkeit: Wir brauchen internationale Handelspartnerschaften und müssen Förderung unterstützen. In Brasilien und Vietnam gibt es ähnlich viel Seltene Erden wie in China, doch werden dort nur 1,5 Prozent der chinesischen Produktion gefördert. Wir können außerdem viele Rohstoffe in Europa selbst fördern. Das ist teurer, technisch herausfordernd und gesellschaftlich aktuell kaum akzeptiert, wird aber notwendig sein. Wir müssen darüber hinaus auch Kapazitäten in der Rohstoffverarbeitung und ein strategisches Sicherungssystem für kurzfristige Störungen aufbauen.

In der Energiediskussion sollten wir die gesamte Primärenergiebeschaffung ins Auge fassen. Der Löwenanteil entfällt auf den Wärmemarkt, für den wir aktuell hauptsächlich Erdgas und Mineralöl einsetzen, die beide fast vollständig aus dem Ausland stammen. Neben dem Aufbau einer erneuerbaren Energiewirtschaft gilt es, eine größere Diversifizierung durch Zusammenarbeit mit verlässlichen Partnerländern sicherzustellen.
Aber nicht nur die Energieverfügbarkeit, sondern auch langfristig stabile Preise sind von zentraler Bedeutung, damit wir die verarbeitende Industrie nicht zwingen, ihre Produktion oder Verarbeitung zu verlagern. Dafür müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung regionaler Vorteile beschleunigen, Innovationen in der Speichertechnologie fördern und die Interkonnektivität der europäischen Netzinfrastruktur erhöhen.

Auch der Staat ist gefragt

Der Umbau wird nicht dogmatisch, sondern nur mit Kompromissen möglich sein. Im energiepolitischen Zieldreieck führt die Bevorzugung einer der Prioritäten Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit nicht immer, aber häufig zu Zielkonflikten mit den anderen beiden Aspekten.

Für die Umsetzung der neuen Strategie ist viel Austausch notwendig. Politik, Wirtschaftsakteure, die Gesellschaft, aber auch die Wissenschaft und die Finanzindustrie müssen in einem transparenten Dialog den bestmöglichen Ansatz ausarbeiten. Das wird nicht ohne Konflikte ablaufen. Aber alle haben Interesse am Zugang zu energetischen und metallischen Rohstoffen, denn diese bilden nicht nur die Grundlage unseres Wohlstands. Sie tragen auch zu unserer Sicherheit bei und sind das Fundament einer nachhaltigen Transformation.

Eine wichtige Rolle wird dem Staat zukommen. Zwar sollte er die Ressourcenverteilung und die Preise weitestgehend dem Markt überlassen, um den Wettbewerb und damit Innovation und Effizienz zu fördern. Aber er muss investieren, um die Entwicklung neuer Technologien und Industrien zu fördern und neben vereinfachten Genehmigungsverfahren über Risikobeteiligungen mehr privates Kapital zu mobilisieren. Vor allem aber ist es die Aufgabe des Staats, internationale Handelspartnerschaften zu vereinbaren. Denn eins ist klar: Bei allem Streben nach Unabhängigkeit kann nur ein funktionierender Außenhandel unseren Wohlstand bewahren und Nachhaltigkeit fördern.

Das Whitepaper zum Artikel: Der Artikel basiert auf einem aktuellen Whitepaper der Deutschen Bank mit dem Titel „Energie- und Rohstoffsicherheit in Einklang bringen“. Die Analyse enthält zahlreiche weitere Informationen und ist hier abrufbar: www.deutsche-bank.de/ub/lp/energie-und-rohstoffsicherheit-in-einklang-bringen.html

Gastbeitrag von:
Hauke Burkhardt
Head of Trade Finance & Lending DACH und Global Co-Head of Lending
Deutsche Bank AG
T +49 69 910 40 353
E-Mail: hauke.burkhardt@db.com